Es begann mit einem Schnitzel: Was unterscheidet Projekt und Prozess?

Preisfrage: Wer war der Erfinder der Fließbandarbeit?

Falls Ihre Antwort ‚Henry Ford‘ lautet, liegen Sie leider falsch. Denn tatsächlich hat der amerikanische Automogul die Idee, ein Werkstück zum Arbeiter zu transportieren und diesen ausschließlich den immer gleichen Handgriff ausführen zu lassen, dreist kopiert.

Drei Jahre bevor Ford seine Fertigungshallen 1913 mit Fließbändern aufrüstete, besuchte er die Schlachthöfe von Chicago und beobachtet dort, wie Schweine, von der Decke hängend, von Metzger zu Metzger weitergeschoben wurden. Jeder einzelne Schlachter kümmerte sich dabei um genau einen Arbeitsschritt.

Ob die Metzgermeister Chicagos nun die eigentlichen Erfinder der Fließbandproduktion sind, ist nicht überliefert. Fest steht allerdings, dass Ford der Erste war, der diese Technik in der industriellen Massenproduktion einsetzte und damit die Welt revolutionierte.

Was diese Geschichte mit Projektmanagement zu tun hat? Tatsächlich gar nichts. Zumindest nicht 1913. Denn wie wir wissen, kam so etwas wie Projektmanagement erstmals vier Dekaden später bei der Entwicklung der ersten Atombombe zum Einsatz. Der gute Mr. Ford konnte also gar nicht in Projekten denken.

Was ihm damals allerdings sehr wohl bekannt war, waren Prozesse – in unserer kleinen Anekdote eben der Produktionsprozess des Model T. Diesen optimierte Ford in einem so hohen Maß, dass er bereits ein Jahr später zu den reichsten Menschen in den USA gehörte – und uns schlussendlich doch noch den Brückenschlag zum Projektmanagement ermöglicht. Denn ohne Prozesse sind Projekte zwar nicht denkbar, allerdings sollte Sie die beiden Begriffe nie leichtfertig in den gleichen Topf werfen.

Was also ist der Unterschied zwischen Projekt und Prozess?

Klingt ähnlich, ist es aber nicht: Prozess und Projekt

Um zu erkennen, worin Projekt und Prozess sich unterscheiden, ist es am sinnvollsten, mit einer Begriffsdefinition zu starten:

Ein Prozess ist ein linearer, sich ständig wiederholender, immer gleich ablaufender Vorgang.

Prozesse finden sich daher überall – und über die einfacheren unter ihnen brauchen wir uns nicht einmal viele Gedanken machen. Ihre morgendliche Routine aus Zähneputzen, Kaffeetrinken und Newsfeed lesen etwa ist ein Prozess. Stets der gleiche Ablauf, an jedem Werktag in derselben Reihenfolge. Eine Prozessbeschreibung werden Sie zu diesem Vorgang vermutlich nicht verfasst haben. In Ihrem Unternehmen allerdings sieht die Sache gleich anders aus.

Denn auch hier finden sich zahlreiche Prozesse. Genaugenommen wäre ein Unternehmen ganz ohne Prozesse überhaupt nicht denkbar. Diese laufen zwar immer identisch ab, bedürfen allerdings eines gewissen Maßes an Organisation.

Bei der Erstellung eines Angebotes etwa handelt es sich um einen Prozess, bei dem genau festgelegt werden sollte, wie das Schriftstück auszusehen hat. Schließlich möchten Sie, dass Ihre Kunden sich in Ihren Dokumenten schnell zurechtfinden. Auch sollten Sie exakt definieren, wer für diesen Prozess verantwortlich ist. Weder der Azubi im ersten Lehrjahr noch Ihr Chefentwickler besitzen das nötige Handwerkzeug, um ein vernünftiges Angebot zu schreiben.

Weiterhin können und sollten Prozesse optimiert werden; vielleicht haben Sie schon einmal vom Ausdruck KVP gehört, dem Kontinuierlichen-Verbesserungs-Prozess. Mr. Ford hat uns diesen Vorgang bereits sehr eindrucksvoll demonstriert.
Denn nur durch fortlaufende Optimierung, etwa ein Upgrade der Software, die Schulung Ihrer Mitarbeiter oder die Anschaffung neuer Maschinen, bleibt Ihre Organisation konkurrenzfähig.

Prozesse sind also nicht nur lineare, sich wiederholende Vorgänge; gleichzeitig besitzen sie meist auch eine Prozessbeschreibung, mindestens einen Prozess-Owner und in den meisten Fällen Verbesserungspotenzial. Je komplizierter der Prozess, desto genauer muss seine Beschreibung ausfallen, desto höher qualifiziert muss sein Verantwortlicher sein und desto schwerer ist es, ihn zu optimieren.

Ein Projekt dagegen ist ein einmaliger, risikobehafteter, komplexer Vorgang.

Während Prozesse sich also überall in unserem Alltag finden, sind Projekte eher selten in der freien Wildbahn anzutreffen. Niemand beschäftigt sich neben der Arbeit tagtäglich mit komplexen Vorgängen, nicht einmal ein Projektmanager. Analog zur prozesshaften Morgenroutine wären Alltagsprojekte etwa die Planung Ihres nächsten Familienurlaubes oder die Organisation einer großen Familienfeier – Vorgänge, die kaum als Routine bezeichnet werden können und eines hohen Maßes an Organisation bedürfen.

Ganz ähnlich gestaltet sich die Situation, wenn wir den Blick auf Ihr Unternehmen richten. Auch hier gehören Projekte nicht zur Tagesordnung, sondern werden von langer Hand geplant und vorbereitet. Dementsprechend ist auch der organisatorische Aufwand wesentlich größer. Während eine Prozessbeschreibung häufig auf wenigen Seiten Platz findet, kann eine Projektdokumentation schnell den Umfang eines kleinen Buches annehmen. So finden sich dort unter anderem alle wesentlichen Daten und Informationen zu Organisation, Ressourceneinsatz, Ablauf und Zielen Ihres Projektes ein – um nur einen Teil ihrer wesentlichen Bestandteile zu nennen.

Ebenso verhält es sich auch mit den Projektverantwortlichen: Während ein Prozess meist von einem, selten von einer Handvoll Mitarbeitern abgearbeitet werden kann, ist zur erfolgreichen Durchführung eines Projektes immer ein komplettes Team vonnöten. Dieses vereint unterschiedlichste Kompetenzen – von der Führungsebene mit dem Projektmanager an der Spitze, über das Ressourcenmanagement bis hin zu den einzelnen Teammitgliedern mit ihren dedizierten Sachkenntnissen.

Zuletzt lässt ein Projekt sich selbst nicht optimieren. Vielmehr ist das Ziel eines Projektes in der Regel die Optimierung einer ganzen Bandbreite von Prozessen. Wenn Ihr Projekt etwa ‚Wir bauen ein neues Firmengebäude‘ heißt, dann lautet sein Ziel nicht etwa, dass am Ende des Vorgangs ein neues Haus auf der Brache steht. Natürlich sollte ganz am Ende schon der Einzug gefeiert werden, die eigentliche Absicht dahinter allerdings sind zum Beispiel ruhigere Büros, größere Konferenzräume oder mehr Platz für die Server – eben alles, was hilft, die Prozesse in Ihrer Organisation zu optimieren.

Also: Projekte sind nicht nur einmalig, risikobehaftet und komplex, sondern erfordern anders als Prozesse auch ein großes Maß an Planung, die Arbeit eines gesamten Teams und zielen darauf ab, kleinere Prozesse zu optimieren.

Klingt auch ähnlich, ist es aber ebenfalls nicht: Kompliziert und komplex

In unseren Begriffserklärungen sind nun zwei Wörter gefallen, die, ähnlich wie Prozess und Projekt, gerne durcheinandergebracht werden. Nämlich: kompliziert und komplex. In ihrer Bedeutung allerdings könnten diese beiden Ausdrücke unterschiedlicher kaum sein. Ein Prozess ist kompliziert, ein Projekt ist komplex – und wenn Sie verstehen, was Kompliziertheit von Komplexität unterscheidet, werden Sie schnell erkennen, wieso eine klare Abgrenzung zwischen Prozess und Projekt für ein Unternehmen so bedeutsam ist.

Die Kognitionswissenschaft – das ist die Wissenschaft der Erforschung bewusster und potenziell bewusster Vorgänge – drückt es folgendermaßen aus: „Mit Wissen kann man komplizierte Aufgaben lösen, aber nur mit Können die komplexen.“

Klingt kompliziert (Nein, nicht komplex!)? Ist es gar nicht.

Ein kompliziertes Problem lässt sich lösen, wenn man nur genug Zeit und Ressourcen hineininvestiert. Denn hier sind die Zusammenhänge zwar anfangs oft schwer zu durchschauen, folgen aber immer einer strikten wenn-dann-Logik. Um also Fortschritte in der Lösungsfindung zu erzielen, ist vor allem theoretisches Wissen gefordert.

Computer sind daher besonders erfolgreich, wenn sie vor komplizierte Aufgaben gestellt werden. Dank gewaltiger Datenbanken und stringenter Logik müssen sie nur lange genug rechnen, um eine Lösung zu finden.

Übertragen auf Prozesse bedeutet das: Ein Problem mag anfangs kompliziert erscheinen, wenn man aber erst einmal weiß, wie es geht, wird die Sache einfach. Vielleicht können Sie keine Uhr reparieren, ein Uhrmacher mit seinem umfangreichen Wissen allerdings, erledigt den Auftrag im Handumdrehen.

Ein komplexes Problem dagegen benötigt zu seiner Lösung mehr als nur Zeit und ausreichend Ressourcen. Denn hier folgen die Zusammenhänge keiner einfachen wenn-dann-Logik. Es existieren zu viele Einflüsse und Unwägbarkeiten. Ganz entscheidend ist oft der Faktor Mensch mit seinen Unzulänglichkeiten, Bedürfnissen und Emotionen.

Deshalb sind Rechenmaschinen mit komplexen Aufgaben auch meist (noch) überfordert. Ein PC ist vielleicht ein brillanter Schachspieler, denn dort existieren zwar viele, aber eben nicht unendlich viele Zugmöglichkeiten. Ein genialer Fußballer allerdings ist er nicht. Denn auf dem Platz gelten völlig unvorhersehbare Regeln: Die Fans peitschen die Spieler an, ein Zwischenruf beim Elfmeter lenkt den Schützen ab, der Torwart hat Beziehungsstress und greift gedankenverloren daneben. Hier helfen zum Sieg nur Erfahrung, Instinkt und Können.

Ganz ähnlich ist es beim Projektmanagement. Sie können Ihr Projekt vor dem Startschuss so gut durchplanen, wie menschenmöglich, mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten müssen Sie dennoch rechnen. Vielleicht verlieren Ihre Mitarbeiter die Motivation, weil Fortschritte nur langsam sichtbar werden. Ein neuer Kunde erfordert eine vollständig neue Skalierung des Projektes. Oder eine Pandemie treibt die Rohstoffpreise in die Höhe.

Unverhofft kommt nun mal oft – und dann ist es gut, dass Sie sich nicht nur auf Ihr gesamtes Projektteam verlassen können, sondern auch auf die Erfahrung und das Improvisationstalent Ihres Projektmanagers.

Manchmal ist eine Trennung die richtige Entscheidung

Komplizierte und komplexe Herausforderungen bedürfen also völlig unterschiedlicher Herangehensweisen und Lösungsstrategien. Im nächsten Kapitel unserer Reihe ‚Projekt- und Prozessmanagement‘ werden wir uns noch eingehender damit beschäftigen und vor allem die Frage klären, warum eine klare Trennung von Prozess und Projekt so wichtig für den Unternehmenserfolg ist.

Wenn Sie bis dahin nicht warten mögen, dann stehe ich Ihnen schon jetzt gerne Rede und Antwort in einem meiner Kurzseminare im Onlineformat. Oder, für besonders Wissenshungrige, natürlich auch im Rahmen einer längeren Veranstaltung.

Worauf Ihre Wahl auch immer fallen mag, ich freue mich von Ihnen zu hören und ganz besonders auf unser Wiederlesen.

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